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Balkan Beats Etappen 2 und 3

Es ist ein Wechselbad der Gefühle hier in Istrien. An manchen Orten ist der Tourismus derart übergriffig, dass es eigentlich gar nix mehr gibt, außer deutscher Sprache und den dazugehörigen Regeln. Poreč war so ein Ort, und Rovinj auch. Dort hat es sich zumindest etwas verlaufen, und die Stadt ist auch wirklich ausnehmend hübsch und darf sich zurecht als Touristenperle wähnen. Auf dem Camping, nett gelegen und riesig, wie so viele Campings hier, ging es dann allerdings wieder sehr deutsch und ordentlich zu. Gerhard Polt würde sich sauwohl fühlen.

Ich finde es immer etwas irritierend, meiner eigenen Kultur in einem anderen Kulturraum zu begegnen und die Unterschiede wahrzunehmen. Und ich weiß natürlich seit langem, dass ich bei aller Weltenbummelei im tiefen Inneren vor allem die deutsche Seele verinnerlicht habe. Also keine Sorge, ich hol jetzt hier nicht zum Großangriff aus.

Eins muss ich aber dennoch loswerden: das Verhältnis vieler Mitglieder meiner Altersgruppe ("Boomer") zu ihren Hunden. Bemerkenswert! Wie kleine Babys werden die vor Angst zitternden Überzuchtresultate stolz auf den Armen ins Meer getragen, damit sie das auch mal kennenlernen. Die Ansprache dazu erfolgt in Babysprache und macht traurig - ist das wirklich alles, was das Leben füllt, der Zugang zum Kläffer an der Leine? Höhepunkt war ein fürchterlich winselnder Rehpinscher, der auf ein Surfbrett gestellt und losgeschickt wurde. Der arme Kerl wusste wahrlich nicht, wie ihm geschah (kann natürlich auch eine Hündin gewesen sein), während die Hundeeltern stolz hinterherblickten.


Reisen heißt, sich öffnen für das Fremde und nicht auf das Vertraute pochen. Hier scheint mir, ist der Grund der Anwesenheit die Sonne und sonst nicht mehr viel (sooo billig ist Krotien übrigens nicht, zumindest hier in Istrien). Es erschüttert mich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit beispielsweise von den Einheimischen erwartet wird, dass sie Deutsch sprechen. Und zwar so gut, als sei man in Deutschland. Wer hier mit Touristen in Kontakt kommt muss zwingend Italienisch, Deutsch und Englisch können. Vermutlich auch noch Slowenisch, das kann ich nicht heraushören. Wer von uns beherrscht vier Sprachen? Ein Eisverkäufer, den ich fragte, kam gar auf "sechs oder sieben"! Ich finde das eine enorme Leistung, wobei meine Versuche, herauszufinden, wie sich das Bedienpersonal damit fühlt bislang eher auf Schweigen stieß. Zumindest löst ein Danke auf Kroatisch (hvala) ziemlich zuverlässig ein Lächeln aus. Und ja, natürlich weiß ich: Wirtschaftszweig Nummer eins, viele Arbeitsplätze und so.

Aber vielleicht sollte man im Urlaub auch einfach nicht ein Buch wie EARTH lesen, das in einer Zukunft des Klimawandels spielt mit einem abgeschotteten Zentraleuropa, Massenfluchten aus Afrika und Südeuropa und einer Welt, in dem Wasser die wertvollste Ressorce ist, alles, wirklich ALLES überwacht wird und nur Überlebenschancen hat, wer (viel) Geld hat.


So, wer bis hier durchgehalten hat wird nun aber wirklich von Reiseberichten belohnt! Versprochen. So irre viel Kilometer hab ich noch nicht auf der Uhr, kann aber schon sagen, dass es hier durchaus hügelig zugeht. Und es auch bezüglich des Radelns zwei Welten gibt: das Fahren auf den großen Überlandstraßen, das alles andere als ein Spaß ist (ich bin froh über mein Gepäck, sonst würden die Auto- und Lasterkutscher bestimmt noch enger an mir vorbeirauschen), und die glorreiche Idylle der Nebenstraßen, die oft paradiesisch sind.

Istrien ist, abgesehen von seiner Küste, keine strahlende Schönheit, doch die Gelassenheit, die vom Hinterland ausgeht, ist überwältigend (Einheimische werden statt "Gelassenheit" vermutlich "Langeweile" sagen). Viele Olivenfelder, Pinienwälder, Wein, auch Lavendel - es erinnert ein bisschen an die Provence. Die winzigen Örtchen mäandrieren irgendwo zwischen sozialistischem Stil und Ferienhausmoderne mit zwei, drei Asphaltstraßen und allerlei Schotterpisten. Dass hier der Hund verfroren ist, ist nicht zu übersehen. Als Radreisender freilich ist es großartig, weil entspannend und ursprünglich.

Von den wechselnden Einflüssen der letzten Jahrhunderte in der Region hatte ich schon  eim letzten Mal geschrieben. Novigrad und auch Rovinj kamen als italienische Küstenstädte mit sozialistischem Einfluss daher. Zauberhaft herausgeputzte Flaniermeilen für die Sonnenhungrigen aus Germania und all den anderen Ländern, ohne sichtbare Zeichen an das Leben vor 1991. Istrien hat sich seit dem Ende Jugoslawiens gut entwickelt, das ist unübersehbar.

Novigrad und Rovinj sind in ihren historischen Zentren übrigens verkehrsbefreit! Komplett! Und das im Autofahrerland Kroatien. Im Stadtkern darf sich kein Motormobil zeigen, ist alles den Fußgängern vorbehalten.

Sich die historischen Altstädte zu sozialistischen Zeiten vorzustellen, fällt hingegen schwer. Zu hübsch, filigran und nobel kommen die schick restaurierten Häuser vor allem aus italienischen Tagen daher. Nur hier und da sind Relikte aus Titos großem Traum zu finden. So wie in Rovinj, wo zwei alte Fabriken direkt an der Altstadt   verfallene Vergangenheit dokumentierten. Da taucht dann auch mal das Bild der zur Schicht marschierenden Arbeiterklasse auf, das aber in eigenartigen Grautönen gehalten ist, denn die Arbeiterklasse ist inzwischen ersetzt durch die jungen Leute, die fließend in vier oder mehr Sprachen parlieren.


So ganz hab ich meinen Frieden mit Istrien offenbar noch nicht gefunden und bin gespannt auf das Kroatien abseits der Touristenströme. Mir ist zugleich allerdings auch viel Herzlichkeit und Fröhlichkeit begegnet, vor allem im ländlichen Raum, und die Bilder in meinem Kopf purzeln deshalb nich ein wenig wild durcheinander. Eine Einordnung fällt in vielerlei Hinsicht schwer. So stoße ich immer wieder auf Denkmäler für die Partisanenkämpfer des Zweiten Weltkriegs, während von den Jugoslawienkriegen nichts zu sehen ist - wobei die an Istrien weitgehend vorbeigingen.

Mein Weg nach Süden führte sowohl durchs Binnenland als auch entlang des Meeres. Ich nutze jede kleine Straße, um dem wilden Verkehr zu entgehen, doch die großen Überlandtangenten bilden die Basis. Auf ihnen geht es fröhlich hoch unter runter. Kaum raus aus Novigrad durchkurbelte ich zum Beispiel zunächst eine tiefblaue Lagune und fand mich dann abrupt an einer 14 Prozent-Rampe. Wahrlich kein Vergnügen mit voller Gepäckkapelle, wenngleich der Ausblick oben für alles entschädigte. Rasant auch eine Talfahrt über mehr als drei Kilometer hinab in ein Seitental, die auf der anderen Seite von einem ähnlich Anstieg gespielt wurde. Diese Achterbahngefühle kenne ich noch gut von Albanien.


Heute war dann Fußball dran. Istra Pula gegen Hajduk Split. So etwas wie ein Derby - wenn es die jugoslawische Geschichte nicht gäbe. Denn auch 30 Jahre nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens (kurzer Werbeblock zum aktuellen Zeitspiel-Heft mit dem Schwerpunkt "Jugoslawien 1991") ist die Zwei-Klassen-Gesellschaft in der kroatischen Nationalliga unübersehbar, vermisst man bei Hajduk Split und Dinamo Zagreb, zumindest heimlich die alten Duelle gegen Roter Stern, Partizan, Olimpija Ljublana und all die anderen Größen Jugoslawiens. Istra Pula gegen Hajduk Split hingegen hört sich an wie ein Freundschaftsspiel, bei dem sich der "Große" vor dem Saisonstart einspielt.

Und so sah es auch aus. Eine völlig entspannte Atmosphäre vor dem Stadion, dessen sonnengeflutete Gegengerade mit Werbetafeln gepflastert war. Zu viel Platz für zu weniger Fans. Aus Split kamen einige Hundert, wobei viele wohl in Pula oder anderen Orten in der Gegend leben und Hajduk seit vielen Jahren folgen. Alles war geprägt von dieser Zweiteilung. Die Stimmung auf den Rängen, die Hajduks "Torcida" im Alleingang machte, während das Heimpublikum irgendwie den Anschein erweckte, die falsche Arena gewählt zu haben und sich stumm gab. Nur umstrittene Schiedsrichterentscheidungen - und davon gab es reichlich - brachten verbale Regungen zum Vorschein. Viele Fans der Region halten offenbar eher mit Rijeka, noch so ein großer Name von früher. (Update: ich wurde inzwischen aufgeklärt, dass es einige Gruppen in Kroatien gibt, die wegen der Corona-Regeln den Support eingestellt haben. In Pula galt 3G, und es wurde auch scharf kontrolliert)

Dann das Spiel, beim dem gefühlt ein Drittligist (Pula kämpft gegen den Abstieg) gegen einen Titelanwärter antrat. Istra versuchte zwar, Konter in die Dauerüberlegenheit der Gäste zu bringen, war dabei aber sichtlich limitiert. Trotzdem ging es mit 0:0 in die Pause, nach der der Herr Schiedsrichter mit zwei Elfmetern für Hajduk die Heimfans in Wallung brachte, die jeweils umstritten waren. Beide wurden verwandelt, und danach war die Messe gelesen, erhöhte Hajduk noch auf 3:0, ehe der Herr Schiedsrichter in der 88. Minute bei einem schönen Kopfball erst auf Nicht-Tor für Istra entschied, dann den Videobeweis anforderte, zunächst erneut auf Nicht-Tor entschied und dann doch den Treffer zum 1:3 gab. Danach würde es kurz hektisch, aber Hajduk spielte das Ding souverän runter. Die "Torcida" warf gegen Ende noch ein paar Bengalen aufs Feld und erntete danit den Unmut der Einheimischen, dann war es vorbei.Ich muss sagen, ich wurde schon besser unterhalten beim Fußball.


Pula selbst ist ein Traum. Tolle Atmosphäre, wunderbare Altstadt, die gut erhaltene Arena, das Meer - hier lässt es sich aushalten. Und hier ist auch nicht Deutsch die Grundsprache, sondern Englisch. Es geht ziemlich international zu. In meiner Unterkunft residiert beispielsweise ein Inder, der vor Ort einen Job gefunden hat und nun auf eine Aufenthaltserlaubnis hofft...

Morgen geht die Tour d'Improvisation weiter. Um 7 Uhr geht die Fähre nach Mali Lošinj. Das steht fest. Was nicht feststeht ist, ob sie auch Fahrräder mitnimmt. Das werde ich morgen früh erst herausfinden. Bin selbst gespannt, von wo aus ich mich am Abend melden werde. 


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