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Balkan Beats Etappe 13

Drama, Baby, Drama! Der Tag fing gemütlich an, war über weite Strecken ziemlich entspannt und schwang sich dann unerwartet zu einem spektakulären Höhepunkt auf, der mich als hauchdünnen Sieger im Wettrennen mit einem ziemlich wütenden und ziemlich schnellen Megagewitter sah. Und dabei stand ich wahrlich unter dem Schutz so ziemlich aller Götter, die ihre wohlwollenden Hände und Zauberstäbe über mich legten.


Über weite Strecken des Tages war ich auf dem Ćiro-Trail unterwegs. Das ist eine alte Bahnlinie, die einst zwischen Mostar und Dubrovnik verkehrte und die inzwischen zum Radfernweg geworden ist. Schon auf dem Weg nach Mostar am letzten Samstag hatte ich die weitestgehend verkehrsfreie Piste genossen, die sich nahezu flach entlang des Neretva schlängelt. Ich kam durch muslimische Dörfer, ich kam durch kroatische Dörfer, ich fuhr an riesigen Friedhöfen vorbei und sah die immergleichen Kriegsschäden an den Häusern. Vermutlich waren die Dorfgemeinschaften bis 1992 noch gemischt, heute sind sie es sicher nicht mehr. Das Bosnien von 1992 und das heutige sind unterschiedliche Dinge.


89 Kilometer standen auf dem Tagesplan. Dazu rund 800 Höhenmeter, allesamt im letzten Drittel. Nicht so schön, die Hauptaufgabe des Tages so lange vor sich herzuschieben, aber das Leben ist nunmal kein Wunschkonzert. In Dračevo gönnte ich mir noch einen Pausenkaffee, dann ging es langsam ans Eingemachte. Die Straße wurde schmaler, kaputter, hinterwäldlerischer. Es ging in die Herzegowina. Auch sie ist umstritten, gespalten, zerrissen. Mein Tagesziel Rovna liegt unmittelbar an der Grenze zur Republika Srpska, die serbische Entität in BiH. In Rovna wedelt die kroatische Fahne im örtlichen Café.

Am Svitavsko-Jezero-Stausee begann die Arbeit des Tages. Knapp neun Kilometer, 500 Höhenmeter. Schöne Haarnadelkurven hievten mich rasch nach oben und schenkten eine tolle Aussicht. Auf den ersten Blick eine friedliche Landschaft, sehr entspannt, sehr ländlich, sehr arm. Nach gut einer Stunde war ich oben und fand mich in einer riesigen Baustelle wieder. Zwischen Mostar, Stolac und Neum, wo Bosnien ein winziges Stück Küste umfasst, wird ein neuer Highway gebaut. Auch südlich von Mostar war ich schon in Bauarbeiten geraten, dort entsteht gerade eine Autobahn, die eines Tages nach Sarajevo führen soll. Die bessere Erschließung des Landes gehört zu den wichtigsten Entwicklungsprojekten - 25 Jahre nach Kriegsende... Selbst in Albanien ist die Infrastruktur weiter ausgebaut, obwohl das Land Anfang der 1990er Jahre deutlich rückständiger war.

Als Reisender aus der Komfortzone fühlt es sich eigenartig an, diese Autobauprojekte zu sehen. Es ist erneut die Frage der Perspektive, die mich auf dieser Reise begleitet. Die Diskussionen und Themen, die in Deutschland die Schlagzeilen beherrschen, sind andere als die, um die es hier geht. Und es ist eine Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Schon gar nicht aus unserer Perspektive. Bosnien-Herzegowina braucht eine Infrastruktur, die das Land sich entwickeln lässt. Und es sind Autos, Lastwagen und Busse, die dies tun. Mit herkömmlichen Antrieben. E-Mobilität ist mir auf meiner Reise bislang nur auf den Nobelcampingplätzen Kroatiens begegnet. Ein E-Ladesäule habe ich noch nirgendwo gesehen.Entwicklung ist immer eine Frage der Perspektive.


Hinter der Baustelle wurde es einsam. Eine großherzige Bergkulisse nahm mich auf, die schmale Straße schlängelte sich tiefenentspannt am Hang entlang und passierte Siedlungen mit Namen wie Hutovo, Turkovići oder Velja Seka. Alles war friedlich, als es hinter mir plötzlich donnerte. Ein Blick zurück ließ mich tief erschrecken. Der so liebliche Schäfchenwolkenhimmel des Vormittags war plötzlich pechschwarz. Und der Donner kam ziemlich schnell näher. 15 Kilometer waren es noch bis ins Ziel in Ravno - allerdings stand noch ein Megaanstieg über zweieinhalb Kilometer mit zehn Prozent plus an. Ein echter Spaßverderber also.

Und er kam in Begleitung. Das Gewitter zog zielstrebig auf den Anstieg zu, als unter mir plötzlich auch noch der Asphalt weg war. Baustelle! Die tückische Baustellenpiste bremste mich entscheidend aus und verschlang zudem eine Menge Körnchen, die ich mir extra für den Anstieg aufgespart hatte. Währenddessen kam das Gewitter mit mächtigem Donner rasch näher. Wütend prügelte ich in die Pedale, in der Hoffnung, dass zumindest der Anstieg wieder Asphalt tragen würde.

Das tat er tatsächlich, aber er war zugleich ein echtes Biest. Schnurgrade, megasteil und direkt in der Zuglinie des Gewitters. Es waren noch fünf Kilometer bis zum Ziel, als sich Verzweiflung, Resignation und Wille in mir stritten. Keine gute Konstellation, denn am Berg, zumal am steilen, braucht man Zeit, Geduld und Gelassenheit. Nichts davon hatte ich.

Nach einem Kilometer mit durchschnittlich 7 km/h ging ich auf dem Zahnfleisch. Ich würde es nicht schaffen, die Naturgewalten würden mich mit ihrem Zorn, ihrem Donner und ihren Blitzen überziehen. So viel war klar. Und das so kurz vor dem Ziel. Dann kam der ADAC, der ja seit kurzem auch als gelber Engel für Radfahrer unterwegs ist. Mein gelber Engel fuhr allerdings einen weißen Transporter, der schon deutlich bessere Zeiten gesehen hatte. Und dessen Fahrer schon mal mit dem Feierabendbier angefangen hatte, wie die Bierflasche zwischen seinen Beinen dokumentiere. Und der mit einer Hand lenkte, mit der anderen telefonierte und zugleich mit mir sprach. Eben alles eine Frage der Perspektive.

Ich warf mein Fahrrad jedenfalls fix hinten rein und schwupps heizten wir den Anstieg auch schon hinauf. Erleichterung breitet sich aus. Ich werde es doch schaffen! In einem lustigen Sprachgemisch, bei dem uns beiden sämtliche entscheidenden Wörter in der jeweils anderen Spache fehlten, versuchte er mir klarzumachen, dass er nur bis zum Gipfel fährt, während ich händeringend nach Wörtern für Gewitter, Regen, steiler Berg suchte. Wir haben jedenfalls viel gelacht! Auf dem Gipfel angekommen, schnappte ich mir mein Rad und raste die 12-Prozent-Steigung hinunter nach Ravno. Keine Sekunde zu früh kam ich am Hotel an, riss die Tür auf und ließ den Weltuntergang draußen. Fette Hagelkörner donnerten in Sekundenschnelle wie wahnsinnig vom Himmel und ließen mich den Göttern danken, die verrückt geworden schienen.


Es passte alles. Das Timing, der fröhliche Zechgeselle an Bier, Lenkrad und Handy, das Hotel, das einzige weit und breit. Es ist ein ehemaliger Bahnhof, der vor 100 Jahren an der Bahnlinie Dubrovnik - Wien lag. Sehr schön umgebaut, aber auch in einer gottverlassenen Gegend. Im Ort gibt es nur einen winzigen Supermarkt neben dem Dorfcafé, dessen Besitzer kurz aufschließt, wenn man was will. Viele Häuser sind zerstört, andere verlassen. Es ist eine wunderbare Naturlandschaft, aber zugleich rau und unzugänglich. Das Hinterland der Herzegowina. Da, wo die Götter manchmal verrückt spielen.


Mein BUCH ZUR albanientour

2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

Meine Reisebericht über 352 Seiten und mit mehr als 400 Fotos gibt es beim Zeitspiel-Verlag, der es für 25 Euro inkl. Porto und Verpackung gerne direkt ins Haus schickt.


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