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Balkan Beats Etappe 14

50 Kilometer quasi ohne Autoverkehr durch eine verzaubernde Naturlandschaft und dann auch noch eine spannende Geschichtsstunde - das war eine wahrlich formidable Etappe!

Schon am Vortag war ich über weite Strecken auf der ehemaligen Bahnstrecke Ćiro unterwegs gewesen, die aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammt und einst Dubrovnik mit Wien verband. Es muss ein aufregendes Abenteuer gewesen sein, seinerzeit mit dem Zug zu reisen, vor allem aber, die Strecke überhaupt in die Landschaft zu schlagen! Der Bau hatte vor allem militärische Gründe, die Bahn war aber auch bei Touristen beliebt, denn sie führte nicht entlang der Adria (wegen der dort drohenden militärische Anfälligkeit von der Seeseite), sondern durchs spärlich besiedelte Hinterland der Herzegowina.

Bis in die späten 1960er Jahre wurde die Strecke betrieben, dann eröffnete eine neue Linie, die Belgrad mit Bar (Montenegro) verband und sorgte für das Ende der sogenannten Dalmatinerbahn. In den Jugoslawienkriegen verlief die Route teilweise entlang der Front zwischen der bosnischen und der serbischen Gebiete, weshalb noch immer Bereiche gesperrt sind, weil dort Minen begraben sind, aber niemand weiß, wo.


Nach dem Start in Ravno hatte ich zunächst ein paar Höhenmeter zu überwinden, ehe ich auf die alte Bahnstrecke stieß, die entlang eines Tals verlief und durch das weitestgehend entvölkerte Hinterland führte. Hin und wieder kamen Ortsschilder, wo es jedoch zumeist nur noch unbewohnte Ruinen gab - darunter die ehemaligen Bahnhöfe von Poljice, Jasenica Lug, Hum, Uskoplje etc. Eine echte Geisterlinie also.

Das Feeling war großartig! Nahezu flach, guter Asphalt, kein Verkehr, links das Flusstal, rechts die aufgegebenen Orte und Bahnhofsruinen. Wie eine Zeitreise irgendwann in die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, als das soziale und ethnische Gemisch bereits gärte, das sich nach 1991 auch hier gewaltsam entlud.

Die Landschaft karg und rau. Bei Ivanica, kurz vor der Grenze nach Kroatien, wurden in den 1960ern mehrere Winnetou-Filme gedreht, so sehr erinnerte alles an Prärie. Hum war der erste wirklich bewohnte Ort auf nahezu 50 Kilometer, und er sah desaströs aus. Endzeitszenario. Ich war längst in der Republika Sprska, der serbischen Entität in der Herzegowina, und die wirtschaftliche Lage dort ist katastrophal. Wer kann, geht weg. Hoffnung gibt es kaum, Zukunft noch viel weniger. Auch der Tourismus ist nicht angekommen. Bei Ivanica gab es zwar mehrere Hotel- und Restaurantneubauten, doch sie waren verlassen, bar jeder Hoffnung.

Mit dem Grenzübertritt nach Kroatien schlug das Bild schlagartig um. Plötzlich war wieder Farbe im Bild. Und Wohlstand. Dubrovnik ist gleich um die Ecke, der Tourismus boomt. Und das nicht zu knapp. Dubrovnik habe ich wegen der Touristenhorden ausgelassen und bin stattdessen nach Cavtat geradelt, das auf einer kleinen Landzuge ziemlich idyllisch liegt. Der Ort scheint in Frankreich sehr beliebt zu sein, denn erste Sprache nach Kroatisch und Englisch ist hier Französisch. Erstaunlich.

Der gestrige 1. Oktober ist ein besonderer Tag für die Region. Vor 30 Jahren begann die  Belagerung von Dubrovnik. Von serbisch-montenegrinischen Truppen, die gegen die kroatische Armee kämpften. Cavtat wurde damals zum Fluchtort für viele Dubrovniker und war einer der wenigen Orte, der nahezu ohne Kriegsschäden blieb. Heute ist es ein entspannter Hafen- und Touristenort, in dem nichts mehr von der Vergangenheit zu sehen ist und auch Serben urlauben.

Morgen geht es nun weiter nach Montenegro, Land Nummer vier meiner Reise, auf das ich sehr gespannt bin. Ich hab viel Gutes gehört über das kleine Land, und auch zum Radeln soll es wohl ein paar Höhepunkte haben. Lasst euch überraschen!


Zum Schluss noch eine Erkenntnis der besonderen Art. Seitdem ich losgefahren bin, stieß ich jeden einzelnen Abend in meinen jeweiligen Etappenorten auf Kneipen und Bars, in denen Fußball gezeigt wurde. Manchmal der nationale, meistens aber internationaler. Jeden einzelnen Abend. Hier in Cavtat läuft gegenwärtig überall englische Premier League. Manchmal erinnere ich mich etwas wehmütig an früher, als Fußball noch etwas rares war, für das ich Aufwand betrieben habe. Ein Europapokalspiel von Dortmund in Auxerre beispielsweise, als ich irgendwo in Zentralfrankreich mit zunehmender Verzweiflung von Kneipe zu Kneipe eilte, ehe ich endlich eine fand, die das Spiel zeigte. Die allgegenwärtige und jederzeitige Verfügbarkeit von Fußball entwertet ihn in meinen Augen völlig. Ich schau meistens schon gar nicht mehr hin, wer spielt - und gehe oft konsequent an Bars und Kneipen vorbei, in denen die Großbildleinwände grün flimmern. Nur selten sitzt übrigens jemand davor und guckt wirklich zu. Meistens läuft es nebenbei, interessiert kaum jemanden.

Fußball ist beliebig geworden, zudem dominiert von den immer gleichen Teams, den immer gleichen Spielern, den immer gleichen Gesten. Er hat seine Individualität verloren - zumindest für mich  Ob ihm das dauerhaft gut tut wage ich zu bezweifeln. Mich hat er jedenfalls tiefer verloren, als ich dachte. Auch das ist eine Erkenntnis, die ich aus dieser Reise ziehen kann. Wobei mich Istra Pula gegen Hajduk Split oder Zrinjski Mostar gegen Sloboda Tuzla ohnehin immer mehr gelockt hat als Barça, Manchester, Bayern und Co. Die aber interessieren mich heute so gar nicht mehr.



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2019 bin ich mit dem Fahrrad durch Albanien gefahren und habe mich auf die Suche nach der jüngeren Geschichte des lange völlig abgeschotteten Landes gemacht. Ich traf unsagbar fröhliche und gastfreundliche Menschen, erfuhr von Schicksalen und Hinterlassenschaften eines Steinzeitstalinismus, der ganze Generationen beeinflusste, durchkurbelte ein wunderschönes Land, in dem es verdammt viel hoch und runter geht. Mein roter Faden war der Fußball und seine Geschichte, über die Albanien auch erstaunlich eng mit Deutschland verbunden ist.

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